forum COVID-19 als Herausforderung bei der Umsetzung der Nachhaltigen Entwicklungsziele

Einführung in das Thema

Einleitung

Seit Anfang des Jahres 2020 hat die Covid-19-Pandemie die Welt fest im Griff. Die Folgen der Pandemie sind nicht nur über eine Millionen Todesfälle, sondern auch eine globale Wirtschaftskrise, wie es sie seit fast 100 Jahren nicht mehr gegeben hat. Überall auf der Welt verlieren Menschen ihre Lebensgrundlage und Kinder können keine Schulen besuchen. Dabei haben sowohl die Krankheit selbst als auch die Maßnahmen, die zu ihrer Eindämmung ergriffen wurden, diese negativen Entwicklungen bewirkt. 
Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen sind ein Zielkatalog, der die Entwicklung der Welt in den Jahren bis 2030 prägen soll. Mit diesen Zielen, die für alle Mitgliedsstaaten gleichermaßen gelten, streben die Vereinten Nationen eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung an.
Doch die Covid-19-Pandemie und ihre Auswirkungen stellen für das Erreichen dieser Ziele einen merklichen Rückschlag dar. In einigen Gebieten, in denen seit Jahrzehnten Fortschritte erzielt wurden, sind erstmals seit langem Rückschritte zu verzeichnen. Ziele, die vorher schon ambitioniert waren, scheinen in unerreichbare Ferne gerückt zu sein.
Die Generalversammlung hat die Aufgabe, zu evaluieren, inwiefern die Pandemie die nachhaltigen Entwicklungsziele beeinflusst und wie gegen negative Folgen vorgegangen werden kann. 

Hintergrund und Grundsätzliches

Die nachhaltigen Entwicklungsziele (engl.: Sustainable Development Goals, SDGs) wurden im September des Jahres 2015 von der Generalversammlung im Rahmen der Resolution A/RES/70/1 mit dem Titel Transformation unserer Welt: Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Die SDGs bestehen aus 17 übergeordneten Zielen, die in insgesamt 169 Einzelziele aufgegliedert sind. Die Absicht, jede*n innerhalb der internationalen Staatengemeinschaft mit in die Verantwortung zu ziehen, wird direkt in der Präambel dieser Agenda 2030 ausgedrückt: “Alle Länder und Interessenträger werden diesen Plan in kooperativer Partnerschaft umsetzen.”

Die SGDs lösten als primäre Entwicklungsziele der Vereinten Nationen die sogenannten Millenniums Entwicklungsziele (MDGs) ab, die von 2000 bis 2015 eine gerechtere und friedlichere Welt schaffen sollten.

Obwohl jedes der Ziele mit jedem anderen im Zusammenhang steht, kann man die siebzehn Nachhaltigkeitsziele grob in fünf Kategorien (aufgrund der englischen Bezeichnungen auch die fünf “Ps” genannt) aufteilen.
Zum Oberbegriff der Würde des Menschen (“People”) lassen sich die Ziele Armuts- und Hungerbekämpfung, Gesundheit, Bildung, Geschlechtergleichheit, sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen sowie bezahlbare und saubere Energie zuordnen.
Unter die Forderung nach Wohlstand (“Prosperity”) für alle fallen die Ziele menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum, Industrie, Innovation und Infrastruktur, weniger Ungleichheiten, nachhaltige Städte und Gemeinden sowie nachhaltiger Konsum und Produktion.
Die Ziele Maßnahmen zum Klimaschutz, Leben unter Wasser und Leben am Land betreffen die Bewahrung unseres Planeten (“Planet”). 

Mit Ziel 16: Friede, Gerechtigkeit und starke Institutionen kommt Frieden (“Peace”) ins Spiel und das letzte Ziel spricht von einer Verbundenheit (“Partnership”) aller: Eine Partnerschaft zur Erreichung eben dieser Ziele. 

Das Fazit bezüglich der Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele war bereits 2019 gemischt. In einem ausführlichen Bericht der Vereinten Nationen konnten zwar einige Fortschritte attestiert werden: So ist der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, seit 2015 von etwa 10% auf etwa 8,2% zurückgegangen, was einen lange anhaltenden Positivtrend fortsetzt; die Kindersterblichkeit ist weiter gesunken, Impfungen konnten Millionen Menschen das Leben retten und ein Großteil der Weltbevölkerung hat Zugang zu elektrischem Strom. Insgesamt kann aber nicht geleugnet werden, dass die Entwicklungen weniger positiv sind, als sie zur Erreichung der Ziele sein müssten. Die Bemühungen um den Schutz der natürlichen Umwelt, der Biodiversität, der Ozeane und der Waldflächen bleiben ohne signifikante Erfolge; der Material-Fußabdruck - also der Verbrauch an Material - wächst schneller als die Wirtschaftsleistung oder die Bevölkerung. Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu angemessener medizinischer Grundversorgung. Die Anzahl der Menschen, die in Hunger leben müssen, ist zwischen 2015 und 2017 sogar um 37 Millionen gestiegen, während Hilfszahlungen für weniger entwickelte Länder von 2017 bis 2018 um etwa 3% sanken. Genaue Aufstellungen bezüglich der einzelnen Ziele finden sich in dem oben genannten Bericht, der unter den wichtigen Dokumenten zu finden ist.

Diese sowieso schon problematische Lage in Bezug auf die Umsetzung der SDGs wird seit Anfang des Jahres 2020 durch die mittlerweile globale Covid-19-Pandemie deutlich verschlechtert. Covid-19 ist eine Erkrankung, die durch das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöst wird und für die bisher weder eine sichere Therapie noch eine Impfung existieren. Mittlerweile (Stand 21.11.2020) sind über 1,34 Millionen Menschen weltweit an der Erkrankung verstorben. Um das Infektionsgeschehen einzudämmen, haben viele Staaten weltweit starke Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorgenommen, die sich massiv auf die wirtschaftliche Situation und Entwicklung auswirken. Es stellt sich nun die Frage, wie die Covid-19-Pandemie die Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele beeinflusst und wie die Staatengemeinschaft negativen Folgen begegnen kann.

Aktuelles

Die Covid-19-Pandemie wirkt sich auf mehreren Ebenen auf die Erreichung der Ziele zur nachhaltigen Entwicklung aus. 

Zunächst lassen sich unmittelbare Folgen der Erkrankungen aber auch der zum Bevölkerungsschutz getroffenen Maßnahmen feststellen. Nach aktuellen Prognosen der Vereinten Nationen wird im Jahr 2020 die Zahl der Menschen, die in extremer Armut leben, um etwa 71 Millionen ansteigen - das ist der erste Anstieg dieses Wertes seit 1998. Etwa die Hälfte der weltweiten Arbeitskräfte ist im informellen Sektor - also in einem wenig kontrollierten und sozial schlecht abgesicherten Bereich - tätig, welcher durch die Pandemie und die daraus folgenden Einschränkungen besonders hart getroffen wurde. Das gesamte Einkommen dieser Gruppe ging allein im ersten Monat der Pandemie um etwa 60% zurück. Insgesamt erlebte die Wirtschaft die größte Rezession seit den 1930er Jahren, als die “Große Depression” die Weltwirtschaft erschütterte. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt könnte 2020 weltweit gesehen um etwa 4,2% im Vergleich zum Vorjahr fallen.
Besonders kleine Unternehmen wurden durch die Krise hart getroffen. Da die Lebensmittelversorgung insbesondere in weniger stark entwickelten Regionen häufig von kleinen Betrieben abhängt, verschlechtert sich die sowieso schon schwierige Versorgung dort massiv. Im Jahr 2020 könnten bis zu 132 Millionen Menschen mehr als im Vorjahr an Unterernährung leiden.
Die Schließung von Schulen im Frühjahr des Jahres 2020 sorgte zwischenzeitlich dafür, dass weltweit 90% der Schüler*innen keinen Unterricht besuchen konnten. Es wird befürchtet, dass dies Fortschritte der letzten Jahre im Bereich Bildung vollständig zunichte machen könnte. Dies liegt unter anderem daran, dass nach längeren Schulschließungen viele Kinder und Jugendliche möglicherweise nicht mehr in die Schule zurückkehren. Diejenigen, die es tun, erreichen in der Regel ein geringeres Bildungsniveau als es ohne die Pandemie der Fall gewesen wäre.
Darüber hinaus werden fast alle  Gesundheitssysteme auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Während intensivpflichtige Covid-19 Patient*innen bereits in einigen Staaten das Gesundheitssystem überfordern und es so zu hohen Todesraten kommt, ist fast überall die Behandlung anderer - vor allem chronischer - Erkrankungen beeinträchtigt, da ein Großteil der Ressourcen auf die Bekämpfung der Pandemie und die Behandlung der Covid-19 Patient*innen verwendet wird. 

Weiterhin kann man feststellen, dass die Covid-19-Pandemie lange nicht alle Staaten und Bevölkerungsgruppen in gleichem Maße trifft. Zunächst sind natürlich Staaten mit einem weniger leistungsfähigen Gesundheitssystem und schlechten sanitären Bedingungen stärker betroffen. Über drei Milliarden Menschen verfügen in ihrem Zuhause nicht über adäquate Möglichkeiten zum Händewaschen, was als guter Schutz vor einer Covid-19-Infektion gilt. Personen, die in Städten und insbesondere in zumindest teilweise informellen Siedlungen wie Slums leben, sind ebenfalls stärker betroffen als die Bevölkerung auf dem Land. Über 90% der Erkrankungen wurden in urbanen Räumen festgestellt.
Aber auch darüber hinaus verstärkt die Pandemie bestehende Ungleichheiten, wie beispielsweise Geschlechterungleichheiten. So arbeiten Frauen verhältnismäßig häufiger in Pflegeberufen und bekommen daher die Auswirkungen der Pandemie besonders stark zu spüren. Sie sind daher auch häufig einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Weiterhin sind mit den vielerorts verhängten Ausgangsbeschränkungen die Fälle von häuslicher Gewalt - vor allem gegen Frauen und Kinder - stark gestiegen. In einigen Ländern ist ein Anstieg von etwa 30% im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. 

Lediglich in Bezug auf die Ziele, die dem Schutz des Planeten dienen sollen, sind 2020 positive Entwicklungen auszumachen. Durch die starken wirtschaftlichen Einschränkungen und den Rückgang der Reisetätigkeiten könnten beispielsweise die Treibhausgasemissionen im Jahr 2020 um 6% im Vergleich zum Vorjahr zurückgehen. Das ist zwar immer noch weniger als die 7,6%, die es nach Berechnungen bräuchte, doch ein wesentlich größerer Schritt als in vergangenen Jahren. Ökosysteme an Land wie im Wasser konnten sich durch den Rückgang der menschlichen Aktivitäten erholen.
Doch diese Entwicklungen könnten von kurzer Dauer sein. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass im Kontext der Krise diverse Staaten die Ziele zum Umweltschutz hinten anstellen. Sobald sich die Wirtschaft erholt, könnte es erneut zu starken Verschmutzungen kommen, die möglicherweise sogar über das Niveau vor der Pandemie hinausgehen. Die Staatengemeinschaft darf die Chance, die sich in diesem Gebiet bietet, nicht entgehen lassen und muss Hilfen und Entwicklungsprogramme an nachhaltige Umweltschutzmaßnahmen binden. 

Die Vereinten Nationen haben mittlerweile auf diversen Ebenen auf die Covid-19-Pandemie reagiert. Der Sicherheitsrat hat eine und die Generalversammlung mehrere Resolutionen zum Vorgehen in der Pandemie verabschiedet. Darüber hinaus haben die Vereinten Nationen mehrere Kurzdossiers zu den Auswirkungen der Pandemie auf verschiedene Bereiche der Ziele für nachhaltige Entwicklung veröffentlicht. Zentral in Bezug auf die nachhaltigen Entwicklungsziele ist ein ausführlicher Bericht über den Stand der SDGs, der im September 2020 veröffentlicht wurde. 

Probleme und Lösungsansätze

Die Staatengemeinschaft muss sich nun die Frage stellen, wie sie auf diese Entwicklungen in Bezug auf die nachhaltigen Entwicklungsziele reagieren will. Wie oben bereits deutlich gemacht kann man die Auswirkungen der Pandemie auf die SDGs grob in drei Gruppen zusammenfassen. Die erste Gruppe sind die direkten Auswirkungen der Pandemie und der Infektionsschutzmaßnahmen auf die Erreichung der Ziele. Hierunter fallen der Anstieg der Anzahl der Menschen, die in extremer Armut oder in Hunger leben ebenso wie die Rückschritte im Bereich der Bildung durch Schulschließungen.
Die zweite Gruppe von Auswirkungen bezieht sich darauf, dass durch die Pandemie bereits bestehende Ungleichheiten verstärkt werden. Hierbei sind nicht nur Ungleichheiten zwischen Staaten zu berücksichtigen sondern auch Ungleichheiten und Diskriminierung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppe.
Die letzte Gruppe umfasst schließlich solche Auswirkungen der Pandemie auf die Entwicklungsziele, die dadurch zustande kommen, dass Ressourcen auf die Pandemiebekämpfung verwendet werden und daher an anderer Stelle fehlen. Hier sind vor allem Klimaschutzmaßnahmen und Demokratisierungsprozesse gefährdet vernachlässigt zu werden. 

Diese verschiedenen Arten von Auswirkungen erfordern verschiedene Herangehensweisen. Die direkten Pandemie-Auswirkungen werden in der Regel schon dadurch angegangen, dass die Pandemie selbst bekämpft wird. Natürlich muss die Staatengemeinschaft diesen Aspekten Aufmerksamkeit schenken und sich darum bemühen, die negativen Folgen so weit wie möglich zu mindern. Doch da sowieso große Anstrengungen in die Bekämpfung dieser direkten Folgen fließen, kann die Generalversammlung diesen Aspekt kürzer halten. Es ist jedoch von Bedeutung auch die negativen Auswirkungen von Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auf die SDGs zu berücksichtigen und zu klären, wie gegen diese vorgegangen werden kann.
Genauere Aufmerksamkeit erfordert die zweite Gruppe von Auswirkungen.  Insbesondere die Ziele fünf und zehn, die sich mit Geschlechtergerechtigkeit beziehungsweise der Reduktion von Ungleichheiten in und zwischen Staaten befassen, sind hier betroffen. Die Generalversammlung sollte klären, wie den besonders vulnerablen Gruppen geholfen werden kann und wie verhindert werden kann, dass die Ungleichheiten sich in und nach der Pandemie noch verstärken. Hier gilt es auch, zu identifizieren, welche Staaten und welche Bevölkerungsgruppen besondere Aufmerksamkeit benötigen.

Die letzte Gruppe von Auswirkungen ist die komplizierteste, da diese sich dadurch auszeichnen, dass sie eben nicht viel Beachtung finden. Die Generalversammlung muss identifizieren, welche Aspekte der nachhaltigen Entwicklungsziele in der Pandemie besonders gefährdet sind vernachlässigt zu werden und anschließend Maßnahmen entwerfen, wie dies verhindert werden kann. So könnten beispielsweise Umweltschutzauflagen als Bedingung für Hilfszahlungen an Unternehmen empfohlen werden. 

Bei all diesen Überlegungen ist zu beachten, dass insbesondere zu Beginn der Pandemie Staaten häufig ohne Absprache miteinander gehandelt haben und dass Zahlungen im Rahmen von internationaler Entwicklungshilfe genauso zurückgegangen sind wie die Bereitschaft, Probleme gemeinsam anzugehen. Die internationale Konkurrenz beim Beschaffen von Atemschutzmasken ist hier ein illustrierendes Beispiel. Die Generalversammlung sollte überlegen, wie es gelingen kann, Staaten wieder zu mehr Multilateralismus zu bewegen. Die nachhaltigen Entwicklungsziele können nur von allen Mitgliedstaaten gemeinsam erreicht werden und dafür braucht es enge Abstimmung und die Bereitschaft zur Kooperation. 

Punkte zur Diskussion

  • Wie genau sehen die unmittelbaren Folgen der Pandemie auf die SDGs aus und wie können sie abgemindert werden? Wie können Mitgliedstaaten eine Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung sicherstellen?
  • Wie haben sich die Infektionsschutzmaßnahmen auf die SDGs ausgewirkt? Wie kann man zwischen Infektionsschutz und seinen negativen Folgen (Wirtschafts-/Bildungskrise) abwägen? 
  • Welche Staaten und welche Bevölkerungsgruppen sind in der Pandemie besonders vulnerabel und wie kann ihnen geholfen werden? Wie kann man sicherstellen, dass sich in der Pandemie bestehende Ungleichheiten und Diskriminierungen nicht verstärken? Wie kann gegen eventuell schon geschehene Verstärkungen vorgegangen werden?
  • Welche Aspekte der SDGs laufen Gefahr, in der Pandemie vernachlässigt zu werden? Sollten Anstrengungen unternommen werden, dies zu verhindern und wenn ja, welche? Ist es angemessen, die Beachtung dieser SDGs als Bedinugung Hilfszahlungen oder Ähnliches zu setzen?
  • Wie kann die derzeitige Krise des Multilateralismus zumindest in Bezug auf die Nachhaltigen Entwicklungsziele überwunden werden? Welche Maßnahmen sind geeignet, um den Austausch und die Kooperation zwischen Staaten zu fördern? 

Besonders hilfreiche Quellen

Wichtige Dokumente

Quellen und weiterführende Links

Bei Fragen zum Text können Sie sich an Clemens Schade unter [email protected] wenden.

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