forum Recht auf Bildung Geflüchteter

Einführung in das Thema

Einleitung

Die vierte Zielsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) „Bildung für alle – inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern“ ist vom Scheitern bedroht. Geflüchtete und Asylsuchende haben einen besonderen Bildungsbedarf. Auf der Flucht wird ihr bisheriger Bildungsweg unterbrochen, Zeugnisse gehen verloren, Kinder können nicht in einer ruhigen und sicheren Umgebung lernen. Bildung spielt eine entscheidende Rolle in ihrem Integrationsprozess und gibt ihnen die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg in ein besseres Leben. Jedoch können sie oftmals ihr Recht auf Bildung nicht wahrnehmen oder werden systematisch vom Besuch einer Bildungseinrichtung ausgeschlossen. Hinzu kommen seit Beginn der Covid-19-Pandemie zusätzliche Hindernisse, Bildungsangebote wahrzunehmen, die Geflüchtete in besonders schwerem Ausmaß treffen. Eine Verbesserung der Bildungssituation von Geflüchteten ist daher dringend notwendig.

Hintergrund und Grundsätzliches

Das Völkerrecht legt fest, dass niemandem der Zugang zu den grundlegenden Menschenrechten, welche in der 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben wurden, verwehrt werden darf. Ein ebensolches dort festgeschriebenes grundlegendes Menschenrecht ist der freie Zugang zu Bildung. So heißt es in Artikel 26 der Erklärung folgendermaßen:

“Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. [...] Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziel haben.”

Das Recht auf Bildung ist daher ein universelles Menschenrecht, es gilt für jede*n zu jeder Zeit und an jedem Ort. Es ist ein Schlüsselrecht, da durch Bildung überhaupt erst ein Verständnis für Menschenrechte geschaffen wird. Gut gebildete Menschen besitzen ein ausgeprägteres Bewusstsein über gesundheitliche Risiken, finden leichter Arbeit, erfahren mehr Teilhabe am kulturellen und sozialen Leben und können besser ihre Meinung zum Ausdruck bringen. Bildung befähigt Menschen dazu, sich weiterzuentwickeln und selbst zu verwirklichen, sozial aufzusteigen und sich an demokratischen Prozessen sowie gesellschaftlichen Debatten zu beteiligen. Insbesondere Frauen profitieren in enormem Maße von Bildung, da sie sich so von Unterdrückung emanzipieren und ihren gesellschaftlichen Stellenwert verbessern können.

Der ungehinderte Zugang zu Bildungsangeboten stellt für viele Menschen mittlerweile eine alltägliche Selbstverständlichkeit dar und wird nicht als ein hart umkämpftes Menschenrecht, welches einen instrumentalen Beitrag zu einem würdevollen Leben leistet, wahrgenommen. Für viele Millionen von Geflüchteten gestaltet sich die Realität jedoch wesentlich anders. Vielen von ihnen ist der Zugang zu Bildung verschlossen, obwohl gerade dieser ihnen die Mittel gibt, aus Armut zu entfliehen und sich erfolgreich in die Gesellschaft ihres Aufnahmelands zu integrieren.

Aktuelles

Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge befinden sich aktuell ca. 79,5 Millionen Menschen weltweit in einer Fluchtsituation. Vor Konflikten, Verfolgung oder schweren Menschenrechtsverletzungen mussten ca. 26 Millionen der Geflüchteten aus ihren Heimatländern fliehen. Ein Großteil der Geflüchteten sind Minderjährige, welche häufig von ihrer Familie getrennt sind. Von den insgesamt 7,1 Millionen Flüchtlingskindern, die sich im schulfähigen Alter befinden, gehen nur 52%, also 3,7 Millionen Kinder, regelmäßig zur Schule. 

Beim Zugang zu Bildung besteht ein signifikanter Unterschied zwischen Geflüchteten und ihren nichtgeflüchteten Altersgenoss*innen, der im Lauf einer schulischen Ausbildung immer weiter zunimmt. Die Lage, insbesondere bei Grundschul- und Sekundarbildung, hat sich in den vergangenen Jahren zwar um einige Prozentpunkte verbessert, bietet aber weiterhin großen Anlass zur Sorge. 

Eine Grundschulausbildung wird immerhin 77% aller Flüchtlingskinder zuteil. Weltweit erhalten allerdings 93% aller Kinder Grundschulunterricht. Obwohl der erfolgreiche Abschluss einer weiterführenden Schule grundlegend für die eigene Bildungs- und Arbeitsperspektive ist, besuchen lediglich 31% aller Geflüchteten eine weiterführende Schule. Verglichen dazu werden weltweit 84% aller Kinder und Jugendlichen an einer Mittelschule unterrichtet. Ferner stabilisiert weiterführende Bildung die soziale Entwicklung von heranwachsenden Geflüchteten und verhindert, dass sie wegen Beschäftigungslosigkeit und unklaren Berufsaussichten in die Kriminalität abrutschen. Die höchste Stufe eines Bildungswegs, ein Studium an einer Hochschule, erreichen nur die allerwenigsten Geflüchteten, nämlich 3%, wohingegen im globalen Durchschnitt fast viermal so viele Menschen an einer Hochschule eingeschrieben sind. Das UNHCR befürchtet, dass ohne weitreichende Verbesserungen in der weiterführenden Bildung jüngst erzielte Verbesserungen verpuffen werden und eine ganze Generation an heranwachsenden Geflüchteten in die Perspektivlosigkeit getrieben wird.

Im Kontext dieser Entwicklungen und der dramatischen Zuspitzung der weltweiten Fluchtbewegungen hat das Flüchtlingswerk der UN den Globalen Pakt für Flüchtlinge, welcher am 17. Dezember 2018 von der Generalversammlung in New York angenommen wurde, erarbeitet. Der Pakt besitzt keine rechtliche Bindung, vielmehr soll er die internationale Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik verbessern und vereinheitlichen. In Absatz 68 des Paktes bekennen sich die Staaten dazu, Geflüchteten “den Zugang zur Grund-, Sekundar- und Hochschulbildung zu erleichtern” und den Aufnahmeländer in der Erweiterung ihrer Bildungssysteme Unterstützung zukommen zu lassen. Darüber hinaus wird in Absatz 69 spezifiziert, wie die weitere Förderung der Bildung Geflüchteter aussehen könnte und welche Maßnahmen Mitgliedstaaten ergreifen können.

Hinzu kommt seit Beginn der Covid-19 Pandemie ein weiterer beunruhigender Trend. Durch zur Kontaktreduzierung vorgenommene Schulschließungen werden Flüchtlingskinder weitaus stärker benachteiligt als andere Kinder. Durch oftmals prekäre Lebensverhältnisse fehlt es an Lernmöglichkeiten im Flüchtlingslager oder der Notunterkunft, die Eltern haben oft nicht die Sprachkenntnisse oder die Zeit, um die Kinder zu unterstützen. Viele der Eltern müssen stattdessen arbeiten, um das Überleben der Familie zu sichern. Gerade in dieser auch wirtschaftlich schwierigen Zeit müssen die Flüchtlingskinder jedoch häufig auch arbeiten oder Hausarbeiten erledigen, um die Familie zu unterstützen. Dies trifft vor allem Mädchen. Der Malala Fund und das UNHCR schätzen, dass bei Wiedereröffnung der Schulen lediglich 50% der Mädchen, die zuvor bereits eine Sekundarschule besucht haben, wieder zur Schule gehen können.

Probleme und Lösungsansätze 

Eine der Hauptursachen bei der unzulänglichen Umsetzung des Rechts auf Bildung für Geflüchtete liegt in der Überforderung der Bildungssysteme der Aufnahmeländer. 84% der weltweit Geflüchteten halten sich in Entwicklungsländern auf. Deren Schulsysteme besitzen kaum die Kapazitäten, um die angemessene Beschulung der Einheimischen sicherzustellen, geschweige denn, um auf den Andrang hunderttausender Geflüchteter angemessen reagieren zu können. 

Selbst Staaten, deren Bildungssysteme sehr gut ausgebaut sind, haben zum Teil mit erheblichen Schwierigkeiten in der Bildung von Geflüchteten zu kämpfen. Dies zeigt sich am Beispiel von Griechenland, wo auf dem Festland starke Fortschritte in der Integration von Geflüchteten ins staatliche Schulsystem feststellbar sind, während auf den Inseln geringe schulische Kapazitäten und Überbelegung von Flüchtlingsheimen vorherrschen. Allerdings sind die europäische und griechische Politik momentan auf eine systematische Verdrängung der Geflüchteten von den griechischen Inseln ausgerichtet, was ihre Lage noch einmal deutlich verschärft. Hier wird Ziel 4 der SDGs deutlich aus den Augen verloren.

Um einer großen Zahl Bildungsbedürftiger Flüchtlingskinder Schulangebote zu machen, wird häufig auf provisorische Sonderschulen zurückgegriffen. Diese sind allerdings für gewöhnlich von minderer Qualität, folgen keinen offiziellen Lehrplänen und stellen Zeugnisse aus, die nicht anerkannt werden. Lernwillige und engagierte Schüler*innen werden so frustriert, wenn sie einen Bildungsabschluss erhalten, der nicht anerkannt wird, und sie auf deren Grundlage von weiterführender Bildung ausgeschlossen bleiben. Diese Exklusion von Flüchtlingskindern aus den nationalen Bildungssystemen ist einer der Hauptgründe, warum so viele Flüchtlingskinder keine weiterführende Schule oder Universität besuchen (dürfen).

Als wesentlich zuträglicher erweist sich dagegen eine Stärkung der nationalen Bildungssysteme der entsprechenden Aufnahmeländer. Insbesondere bei weiterführenden Schulen besteht großer Handlungsbedarf. Allzuhäufig enden Bildungswege nach dem Grundschulabschluss, weil es keine oder zu wenige Plätze auf weiterführenden Schulen gibt. Weiterführende Bildung ist erheblich kostenintensiver als Grundschulbildung, verlangt nach besser ausgebildeten Lehrkräften und aufwendigeren Schulmaterialien. Ein Ausbau der Kapazitäten stärkt nicht nur die bereits bestehenden Bildungsangebote für Kinder und Jugendliche sondern auch den sozialen Zusammenhalt und die Toleranz für Menschen, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören. Insbesondere spezielle Kindergärten, Sprachkurse und Einführungsklassen für Geflüchtete üben eine sehr positive Wirkung auf deren weiteren Bildungsweg aus. 

Fehlende Sprachfähigkeiten und eine geringe Impfrate stellen ein weiteres Hindernis in der angemessenen Beschulung von Geflüchteten dar. Häufig verpassen Geflüchtete mehrere Schuljahre, weil sie nicht die für Schulanmeldungen erforderlichen Impfungen, Sprachkenntnisse und Zeugnisse vorweisen können. Außerdem werden geflüchtete Kinder in erheblichem Maße durch nicht erteilte bzw. nur befristete Aufenthaltsgenehmigungen diskriminiert, da sie dadurch von der Schulpflicht ausgenommen sind und ihnen so der Zugang zu Bildungsangeboten verwehrt wird. Hier stellt sich die Frage, ob durch eine Lockerung dieser Voraussetzungen für Geflüchtete nicht deren Zugang zu staatlichen Bildungsangeboten erheblich verbessert werden würde. Ebenso könnten spezielle Prüfungen für Geflüchtete angeboten werden, um deren Leistungsstand zu ermitteln.

Eine weitere nicht zu vernachlässigende Problematik in der Zugänglichkeit zu Bildung lässt sich in den Haushalten und Familien von Geflüchteten ausmachen. Je älter Flüchtlingskinder werden, desto stärker steigen die Erwartungen an sie, ihre Familien zu versorgen. Insbesondere Frauen und Mädchen werden in dieser Hinsicht oftmals stark benachteiligt. So können 11% mehr Jungen als Mädchen ein Sekundarschule besuchen. Auch diese Lücke wird durch strukturelle Ungleichheit während der Covid-19 Pandemie verstärkt. Haushaltstätigkeiten wie die Betreuung jüngerer Geschwister, älterer Verwandter oder das Sammeln von Wasser werden von ihren Familien höherrangiger angesehen als ein Bildungsabschluss. Mit Eintritt in die Pubertät können sie dem Druck ausgesetzt werden, ihre Ausbildung aufzugeben, um früh zu heiraten oder arbeiten zu gehen. Flüchtlingsfamilien mit begrenzten Ressourcen entscheiden sich häufig, die Ausbildung eines Sohnes zu priorisieren, da diesem zugetraut wird, später mehr Geld zu verdienen.

Eine Stärkung von nationalen Bildungssystemen sollte daher auch die finanzielle Unterstützung von Flüchtlingsfamilien beinhalten, die andernfalls vom Einkommen ihrer arbeitenden Kinder abhängig wären. Kosten für Schulgeld, Prüfungsgebühren, Schuluniformen, Lernmaterialien und Verkehrsmittel können auf einkommensschwache Flüchtlingsfamilien abschreckend wirken, weswegen eine Reduzierung bzw. Beseitigung dieser Kosten den Zugang zu Bildung bedeutend fördern kann. Staatliche Zuwendungen bzw. Zuschüsse ermöglichen Familien, die Bildungsbedürfnisse ihrer Kinder zu priorisieren und reduzieren so in erheblichem Maße die Wahrscheinlichkeit von Zwangsheiraten und Kinderarbeit als Einkommensquellen. Damit kann insbesondere im Bereich der weiterführenden Schulen die Unterrichtsbeteiligung und Anwesenheit der Schüler*innen gesteigert werden.

Punkte zur Diskussion 

  • Wie kann verhindert werden, das Geflüchtete von staatlicher Seite diskriminiert werden und somit nicht den gleichen Zugang zu Bildung wie ihre Altersgenoss*innen erhalten? 
  • Wie können die Bestimmungen der Absätze 68 und 69 des globalen Pakts für Flüchtlinge umgesetzt werden, um Geflüchteten “den Zugang zur Grund-, Sekundar- und Hochschulbildung zu erleichtern”? 
  • Wie kann dafür gesorgt werden, dass mehr Geflüchtete erfolgreich eine weiterführende Schule besuchen?
  • Wie können auf der Flucht verloren gegangene oder nicht anerkannte Zeugnisse kompensiert werden?
  • Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um geflüchteten Mädchen und Frauen den Zugang zu Bildung zu erleichtern?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass Flüchtlingskinder nicht vorzeitig die Schule verlassen, weil sie verheiratet werden oder arbeiten müssen? Welche Rolle spielen dabei finanzielle Zuwendungen an Flüchtlingsfamilien? 
  • Wie können Aufnahmeländer finanziell unterstützt werden? Sollten Staaten, die keine oder nur wenige Geflüchtete aufgenommen haben, Ausgleichszahlungen an Länder mit vielen Geflüchteten leisten? 

Besonders hilfreiche Quellen

Wichtige Dokumente

Quellen und weiterführende Links

Bei Fragen zum Text können Sie sich an Leo Ubben unter [email protected] wenden.

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