forum Hybride Kriegsführung im Donbass und der Ost-Ukraine

Einführung in das Thema

Einleitung

Seit Februar 2014 tobt im Osten und Südosten der Ukraine (“Donbass”-Region) ein Krieg zwischen der ukrainischen Regierung und Russland und den sogenannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk. Dabei geht es um die Autonomie dieser Gebiete sowie die völkerrechtliche Anerkennung der russischen Annexion der Krim im März 2014. Dabei sind schätzungsweise bisher 13 000 Menschen getötet worden. Mehrere Waffenstillstände, die seit 2014 vereinbart wurden, wurden gebrochen und es werden immer wieder schwere Waffen eingesetzt. Zentrale Herausforderung für die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft in den kommenden Jahren wird die Verhandlung eines nachhaltigen und endgültigen Waffenstillstandes sein.

Trotzdem muss gründlich zwischen den besetzten Gebieten im Donbass und der Halbinsel Krim unterschieden werden: Die Krim wird nach der Annexion Russlands von einem Großteil der internationalen Staatengemeinschaft weiterhin als ukrainisches Territorium anerkannt, unterliegt derzeit noch russischer Verwaltung. Daher rührt der in den Medien oft benutzte Begriff der „völkerrechtswidrigen“ Annexion der Krim.

Hintergrund

Mit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde die Ukraine eine unabhängige Präsidialrepublik und hat sich seither zur Brücke zwischen Russland und dem Westen Europas entwickelt, was sich auch in der tiefen Spaltung des Landes widerspiegelt. In Donezk und Luhansk und auf der Halbinsel Krim leben circa 8 Millionen russischstämmige Ukrainer*innen. Im Allgemeinen sind die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine sehr vielschichtig und kompliziert. Beide Länder verbindet eine große kulturelle Nähe, die sich auch in den Sprachen bemerkbar macht: In der Ukraine ist neben Ukrainisch auch Russisch anerkannte Amtssprache – weite Teile der Bevölkerung sprechen nur eine der beiden Sprachen.

Ende 2013 scheiterte ein Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, womit sich das Land der EU angenähert hätte. Der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch bemühte sich daraufhin um bessere Beziehungen zu Russland. Als Folge tobten ab November 2013 gewaltsame Konflikte zwischen prorussischen Separatisten, die eine Entfremdung von Russland befürchteten, und europafreundlichen Kräften, die als „Euromaidan“ bekannt sind: Unzählige Ukrainer*innen demonstrierten auf dem Majdan-Platz in Kiew für eine stärkere Anbindung an die EU. Ihre Hauptforderungen waren die Unterzeichnung des Vertrags und die Absetzung von Präsident Janukowitsch. Nach monatelangen Protesten flüchtete Janukowitsch im Februar 2014 nach Russland. Daraufhin wurde eine Übergangsregierung gebildet, die am 21. März 2014 einen „Vorläufer“ des Assoziierungsabkommens mit der EU unterzeichnete und Neuwahlen anordnete. Russland erkannte diese Übergangsregierung nicht an und warf ihr einen illegalen Putsch sowie die Unterdrückung der Stimmen der russischstämmigen Bevölkerung vor. Dieser Akt wurde von der internationalen Staatengemeinschaft scharf kritisiert und sowohl die Wahlen als auch die Einsetzung der Übergangsregierung als verfassungsgemäß anerkannt.

In der Zwischenzeit sicherte sich Russland immer stärkere Kontrolle über die Krim indem sogenannte „Grüne Männchen“ (russische Soldaten, die keine Hoheitsabzeichen trugen), den Großteil der Halbinsel besetzten. Höhepunkt war hierbei ein am 16. März durchgeführtes Referendum, bei dem über die politische Zugehörigkeit der Halbinsel Krim abgestimmt wurde. Russischen Angaben zufolge hätten hierbei die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim für die Unabhängigkeit zur Ukraine und für die Aufnahme in die Russische Föderation gestimmt. Sowohl die Fragestellung des Referendums als auch das Ergebnis von 96,77% für die Eingliederung in die Russische Föderation wurden von der internationalen Staatengemeinschaft bezweifelt. Es wurde kritisiert, dass die Fragen nicht korrekt gestellt wurden. Es sei eine Frage nach der Verfassung gewesen, aber keine Frage zum Verbleib in der Ukraine, man habe somit nicht mit „Nein“ stimmen können. Daher wurde das Referendum für verfassungswidrig erklärt.

Auch in den Gebieten Donezk und Luhansk riefen prorussische Separatisten zwei unabhängige Volksrepubliken aus, die kriegerischen Auseinandersetzungen spitzten sich indes immer weiter zu. Höhepunkt des Konfliktes war hierbei der Abschuss eines malaysischen Passagierflugzeugs MH17 am 17. Juli 2014 durch russische Soldaten, bei dem 300 Zivilisten starben. Russland bestreitet den Abschuss bis heute. Als Folge setzte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ein sogenanntes Sondertribunal ein, welches das Ziel verfolgte, dieses Kriegsverbrechen gegen zivile Opfer zu untersuchen. Weiterhin setzt sich der Sicherheitsrat für einen Waffenstillstand in der Ostukraine und die Reduzierung ziviler Opfer ein. Wichtige Resolutionen sind hierbei S/RES/2202 zur Annahme des Minsker Abkommens und die Resolution S/RES/2166 zum Abschuss der MH17. Jedoch ist die Tatsache, dass Russland unmittelbar in den Konflikt involviert ist, immer wieder erschwerend für die Arbeit des Gremiums.

In heutigen Kriegsszenarien, wie dem Krieg in der Ostukraine, wird vermehrt von der  sogenannten „hybriden Kriegsführung“ Gebrauch gemacht. Diese stellt einen Mix aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichen Sanktionen, Cyberangriffen bis hin zum Versuch der Kontrolle der öffentlichen Meinung über die Medien und die sozialen Netzwerke dar (hybrid = Mischform). Primärziel ist es, Gesellschaften zu destabilisieren und das öffentliche Bild zu beeinflussen, vor allem in Demokratien und pluralistischen Gesellschaften. Bemerkenswert ist hierbei die Verschleierungstaktik. Ereignisse und Beteiligungen an Kriegshandlungen werden dementiert, die Täter operieren anonym oder über den Cyberraum. Die hybride Kriegsführung zeichnet sich dadurch aus, dass sich die Kriegspartner ständig an der „Schwelle“ zu einem offiziellen Krieg befinden. “Sind wir im Krieg oder im Frieden?”, diese Frage stellt sich für alle Beteiligten dabei ständig. Gerade Angriffe aus dem Internet sind leicht zu verschleiern. Das Hauptziel ist hierbei die gezielte Steuerung der öffentlichen Meinung über Nachrichtenportale und Social Media. Dies unterscheidet die hybride Kriegsform von traditioneller Kriegsführung: Durch digitale Tools kann weiträumig Verwirrung gestiftet und damit ein großer Schaden angerichtet werden. Dies wäre in einer analogen Medienlandschaft nicht möglich. Die zunehmende hybride Bedrohungslage greift auch das “Weißbuch 2016” des deutschen Verteidigungsministeriums als eine zentrale sicherheitspolitische Herausforderung prominent auf. Mehrere Mitgliedstaaten der EU und der NATO gründeten deshalb ein „Zentrum gegen hybride Bedrohungen“ in Helsinki. Gemeinsam wollen sie Strategien gegen Hackerangriffe, Propaganda und Desinformationskampagnen entwickeln.

Aktuelles

Im Frühjahr 2019 verlor der EU-freundliche ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Präsidentschaftswahl, als sein Nachfolger wurde der Schauspieler und Komiker Wolodymyr Selenskyj gewählt. In seiner Antrittsrede nannte er die Beendigung des Krieges im Land als vorrangige Aufgabe seiner Politik. Einen Dialog mit Russland könne es seiner Meinung nach nur geben, wenn die Krim zurückgegeben und Kriegsgefangene freigelassen würden.

Immer wieder kommt es in der Ostukraine zu Verletzungen des Waffenstillstands durch bewaffnete Kampfhandlungen. Die 2014 bzw. 2015 im belarussischen Minsk unterzeichneten Abkommen „Minsk I“ und „Minsk II“ sollen den Krieg beenden. Der Unterschied zwischen beiden Abkommen ist, dass Minsk I Vorschläge zur temporären Beendigung von Kampfhandlungen unterbreitet, während Minsk II das tatsächliche Friedensabkommen zwischen der Ukraine, Russland, Frankreich, Deutschland und den USA darstellt. Man findet daher auch oft den Begriff „Minsker Frieden“ vor. Laut dem Minsker Abkommen ist die OSZE, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für die Überwachung des Waffenstillstandes und des Rückzugs von Waffen und Truppen verantwortlich. Ein weiterer Punkt im Vertrag ist, dass die besetzten Gebiete Luhansk und Donezk zu selbstverwalteten Gebieten ohne russischen Einfluss und ohne Abhängigkeit Kiews werden sollen. Vor allem der russischstämmige Teil der Bevölkerung soll hierbei ihr Selbstbestimmungsrecht durch Lokalwahlen ausüben. Die Umsetzung dieses Selbstverwaltungssystems scheiterte jedoch kurz nach der Unterzeichnung von Minsk II, als der Konflikt erneut entfachte. 

Auf der Halbinsel Krim hat sich seit der Annexion wenig verändert. Trotz Wirtschaftssanktionen der EU gegenüber Russland steht die Krim weiterhin unter russischer Verwaltung. Ein spürbarer Erfolg war hierbei der Abzug ukrainischer und prorussischer Streitkräfte in der Region Solote und Petrivske nach ukrainisch-russischen Gesprächen im November 2019. Ein Hauptkritikpunkt des Minsk-Abkommens ist, dass die Vorgaben, um den Konflikt im Donbass zu entschärfen, keineswegs verbindlich sind – weder für Russland noch für die anderen Konfliktparteien. Russland dementiert, dass die Regierung die Milizen mit Waffen, finanziellen Mitteln und Soldaten unterstützt und beharrt hierbei auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie auf ihrer humanitären Verantwortung. Die Zivilbevölkerung leidet seit Jahren direkt und indirekt unter dem Krieg. Menschen mussten ihre zerstörten Häuser verlassen und Zuflucht in anderen Städten suchen, was die Binnenmigration und Armut innerhalb der Ukraine erhöhte. Minen und Sprengstoffteile im Boden erschweren die Aufnahme von Landwirtschaft zur Nahrungsversorgung. Es fehlt an fließendem Wasser, Lebensmitteln, Wärme und Elektrizität. Derweil kommt es zu einer hohen Zahl an Überschreitungen der Grenze. Oft ist beim Donbass von einer sogenannten „Blackbox“ die Rede, der Zugang zu diesen Gebieten ist erheblich erschwert.

Während des sogenannten Normandie-Gipfels zwischen Deutschland, Frankreich, Ukraine und Russland am 09. Dezember 2019 in Paris konnten bedeutende Einigungen erzielt werden: So fand beispielsweise ein Gefangenenaustausch von 72 Personen zwischen der Ukraine und Russland statt, das OSZE-Mandat wurde verlängert und ein Waffenstillstand bis Ende 2019 etabliert. Dieser wurde jedoch schon am Tag der Unterzeichnung mehrmals verletzt. Außerdem wurde ein Truppenrückzug in drei weiteren Gebieten an einer Demarkationslinie bis Ende 2020 angekündigt. Andere Punkte wie zum Beispiel die vollständige Wiederherstellung der ukrainischen Staatsgrenze oder Lokalwahlen im Donbass konnten hingegen nicht erreicht werden.

Probleme und Lösungsansätze

Die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft stehen vor immensen Herausforderungen: Wie kann es gelingen, die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen und dafür zu sorgen, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Eine Bewertung der Rolle Russlands erscheint vor dem Hintergrund der Struktur des Sicherheitsrates wenig zielführend. Schuldzuweisungen sind nicht die Aufgabe des Sicherheitsrates. Stattdessen sollte das Gremium überlegen, wie Russland trotz seiner strategischen Interessen Teil der Problemlösung sein kann.

In Anbetracht der verworrenen Lage erscheint es recht unwahrscheinlich, dass direkt eine Lösung für die gesamte Ukraine gefunden werden kann. Vielmehr gibt es die Hoffnung, dass für Luhansk und Donezk – im Gegensatz zur Krim – eine Regelung gefunden wird. Hier kommt die sogenannte Steinmeier-Formel ins Spiel, benannt nach dem damaligen deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der diesen Vorschlag 2016 ins Spiel gebracht hatte. Sie sieht vor, dass die Separatistengebiete an dem Tag, an dem dort Wahlen im Einklang mit der ukrainischen Verfassung abgehalten werden, einen provisorischen Sonderstatus erhalten sollen. Erst dann, wenn die OSZE die Wahlen als frei und fair anerkennt, erhalten die Separatistengebiete einen dauerhaften Sonderstatus. Auf diese Lösung haben sich Russland und die Ukraine im letzten Jahr bei den Friedensgesprächen in Paris bereits verständigt, jedoch haben bisher keine Lokalwahlen im Donbass stattgefunden.

Das Minsker Friedensabkommen und das Treffen der Ukraine, Russland, Deutschland und Frankreich (N4-Format) in Paris stellen daher einen nicht zu unterschätzenden Teilerfolg dar; zumindest konnte eine dauerhafte Eskalation des Konfliktes bisher vermieden werden. Ein möglicher Ansatz wäre die Aushandlung eines stabileren Waffenstillstandes, welcher tatsächlich von den Konfliktparteien befolgt wird, sodass der Konflikt eingefroren würde bis eine endgültige Lösung für die Krim-Halbinsel und die besetzten Gebiete gefunden werden kann. Dies könnte durch Neuverhandlungen des Minsker Abkommens oder im Rahmen der Implementierung der Abkommen erreicht werden.

Punkte zur Diskussion

Eine zentrale Herausforderung bei der Lösung des Konfliktes ist die Miteinbeziehung Russlands trotz entgegengesetzter Interessenlage. Die Rollenverteilung der Vetomächte im Sicherheitsrat kann hierbei nicht verändert werden. Mögliche Punkte und Fragen in der Debatte könnten sein:

  • Ist es notwendig, das Minsker Friedensabkommen erneut zu implementieren oder sollte auf Neuverhandlungen hingearbeitet werden?
  •  Wie kann in naher Zukunft die Steinmeier-Formel, also ein Sonderstatus der besetzten Gebiete, angewendet und wie können unter Beobachtung der OSZE Lokalwahlen im Donbass-Gebiet durchgeführt werden?
  •  Welcher politische Status soll Luhansk, Donezk und der Krim vorübergehend erteilt werden? Wie sollen diese Gebiete von der internationalen Staatengemeinschaft anerkannt werden?
  • Soll die OSZE weiterhin die Rolle der Überprüfungsinstanz der Waffenstillstandsverletzungen sowie des Rückzugs russischer und ukrainischer Truppen innehaben oder sollte man diese Aufgaben anderen internationalen Akteuren überlassen? Ist es eventuell sinnvoll, eine Blauhelmmission bzw. ein Mandat der Vereinten Nationen ins Leben zu rufen?
  •  Wie kann ein effektiver Schutz der Zivilbevölkerung aussehen? Was können die am Konflikt Beteiligten unternehmen, um humanitäre Hilfeleistungen zu gewähren und Zivilisten effektiv vor kriegerischen Auseinandersetzungen zu schützen? Welche praktischen Maßnahmen sind hier vonnöten, um ein halbwegs normales Alltagsleben in den Konfliktzonen zu ermöglichen?
  • Welche Rechte erhalten die Binnenflüchtlinge innerhalb der Ukraine? Welchen Schutz sollten sie innerhalb der Kampfgebiete erhalten?

Wichtige Dokumente

Weiterführende Links

 

Bei Fragen zum Text können Sie sich an Mark Wendt unter [email protected] wenden.

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