forum Situation von Kindern und Jugendlichen im Jemen

Einführung in das Thema

Einleitung 

Im Jemen trägt sich zurzeit die weltweit größte humanitäre Katastrophe zu. Der seit fünf Jahren andauernde Bürgerkrieg, der Ausbruch einer Cholera-Epidemie, eine landesweite Hungersnot, die Ausbreitung des Coronavirus, eine Wirtschaftskrise und mittendrin: Kinder und Jugendliche. Diese sind der Situation in ihrem Land schutzlos ausgesetzt; 12 Millionen Kinder sind derzeit auf humanitäre Hilfe angewiesen, 2 Millionen Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt. Die jemenitische Bevölkerung ist seit Jahren auf die Hilfe von humanitären Organisationen und Geberländern angewiesen. Und während sich seit Ende 2019 auf der gesamten Welt das Coronavirus ausbreitet, werden viele Hilfe für den Jemen ausgesetzt. Das Land steht daher in vielen Hinsichten kurz vor dem Kollaps - seine Kinder und Jugendlichen benötigen dringend internationale Hilfe.

Hintergrund und Grundsätzliches 

Seit 2015 befindet sich der Jemen in einem Bürgerkrieg. Die Lage im im Land hat sich seitdem stark verschlechtert. Der Konflikt begann aber schon viel früher. Nach der Wiedervereinigung von Nord- und Südjemen im Jahr 1990 wurden die Stämme im Norden Jemens vermehrt diskriminiert. Daraus entstand eine Protestbewegung, angeführt von den Nord-jemenitischen Huthis. Während einem der frühen Konflikte zwischen den Nord-jemenitischen Stämmen und der Regierung im Jahr 2004 wurde der Anführer der Huthis, Hussein Badreddin al-Houthi, getötet. Daraufhin bildete sich die Rebellenmiliz „Ansar Allah“ („Partisanen Gottes“), die Vergeltung für die Opfer auf Seite der Huthi verüben wollte. 

In den nächsten sieben Jahren kam es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen Regierungstruppen und den Huthis, bei denen keine der beiden Seiten einen bedeutungsvollen Vorteil erlangen konnte. Im Zuge des sogenannten “Arabischen Frühlings” kam es zu weitläufigen Protesten gegen die Regierung damaligen Präsidenten Jemens, Ali Abdullah Saleh. Er trat schließlich im Jahr 2012 von seinem Amt zurück und übergab die Regierungsgeschäfte an seinen Stellvertreter Abed Rabbo Mansour Hadi, der im gleichen Jahr zum Präsidenten Jemens gewählt wurde und mit seiner Regierung eine weitreichende Reformierung des Landes anstrebte. Allerdings schaffte es seine Regierung nicht, der politischen Instabilität des Landes Herr zu werden und den Machtzuwachs der Huthis zu verhindern. Im September 2014 eroberte die Miliz, nachdem sie sich mit Saleh verbündet hatte, große Teile des Nordwesten Jemens und vertrieben schließlich die Regierung Hadis aus der Hauptstadt Sanaa. In der Bevölkerung regte sich kaum Widerstand. Viele hofften, dass die neue Regierung weniger korrupt die von Präsident Hadis sein würde. Einzig die jemenitische Muslimbruderschaft (Islah-Partei) stellte sich aktiv gegen die Machtübernahme der Huthis. 

Anfang 2015 eskalierte der Konflikt zu einem offenen Bürgerkrieg zwischen den Pro-Hadi-Kräften und den Huthis. Im März 2015 griff eine von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition bestehend aus Ägypten, Bahrain, Katar (bis 2017), Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Marokko (bis 2019), Sudan und Senegal aufseiten Hadis in den Bürgerkrieg ein.

Diese Militärkoalition erhält Unterstützung von den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien. Die Huthi-Rebellen hingegen werden, eindeutigen Hinweisen zufolge, durch den Iran mit Militärberatern und Waffenlieferungen unterstützt (siehe Berichte des Expertengremiums nach S/RES/2140). Saudi-Arabien befürchtet deswegen, dass ein Sieg der der schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen den Einfluss des Irans auf der arabischen Halbinsel vergrößern würde.

Die Militärkoalition hat eine Seeblockade verhängt und bombardiert Ziele im Huthi-kontrollierten Nordwesten Jemens. Dabei kamen bisher nicht nur Mitglieder des Militärs, sondern auch zahlreiche Zivilist*innen ums Leben. Seit dem Beginn der Militäroffensive starben zehntausende Menschen, darunter tausende Unbeteiligte. Unter dem Krieg leidet vor allem die Zivilbevölkerung: Luftangriffe auf Krankenhäuser, Schulen, Moscheen und andere zivile Ziele sind keine Seltenheit. Sowohl Saudi-Arabien als auch den Huthis werden mehrere schwere Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. 

Besonders schlimm trifft es dabei Kinder und Jugendliche. Laut der jemenitischen Menschenrechtsorganisation “Mwatana for Human Rights”, die vor Ort Informationen sammelt, gab es zwischen März 2015 und Dezember 2019 durch beide Konfliktparteien insgesamt 380 Angriffe, die Schulen unbenutzbar machten. Radhya Al-Mutawakel, Vorsitzender dieser Menschenrechtsorganisation sagte dazu: “Anstelle, dass Schulen als sicherer Ort dienen, an denen Kinder eine Schulbildung erhalten, sind sie zu gefährlichen, von Soldaten angegriffenen und besetzten Orten geworden, oder werden genutzt, um Kinder zu mobilisieren bevor man sie auf das Schlachtfeld schickt”. Darüber hinaus wurden zwischen März 2015 und Januar 2017 laut dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte 1480 Rekrutierungen von Jungen unter 18 Jahren dokumentiert. Die Kindersoldaten müssen oft direkt an der Front kämpfen oder kontrollieren Menschen an Checkpoints.

Mädchen sind durch den Krieg zudem einer stark erhöhten Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt.  Geschlechtsspezifische Gewalt bleibt in Kriegen oft ungestraft, da Strafverfolgungen wegen fehlender Zeugenaussagen oft ins Leere laufen und Betroffene unzureichend unterstützt werden. Spätestens seit 2017 ist das lokale Unterstützungsnetzwerk für Betroffene von sexualisierter Gewalt im Jemen komplett zusammengestürzt. Sie erhält keine staatlichen Genehmigungen mehr für Projekte zum Schutz vor und zur Sensibilisierung von geschlechtsspezifischer Gewalt. Zudem ist die Rate an Zwangs- und Kinderehen seit Ausbruch des Krieges stark gestiegen. 2016 war knapp über die Hälfte der Frauen unter 18 Jahren im Jemen verheiratet, 2018 waren es bereits zwei Drittel.  

Aktuelles 

Aufgrund des Krieges befindet sich der Jemen in der weltweit größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Momentan sind 80 Prozent der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Stand September 2020 gehören dazu circa 12,2 Millionen Kinder. 1,71 Millionen Kinder im Jemen sind intern Vertriebene und 2 Millionen Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt. Auf dem vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) herausgegebenen Human Development Index befindet sich Jemen am unteren Ende der Skala auf Rang 177 von 189. Für die Erstellung dieses Wertes werden neben der Arbeitslosenquote auch der Schulabschluss, das Bildungsniveau und ähnliche Faktoren des betreffenden Landes berücksichtigt. 

Im September 2017 schuf der Menschenrechtsrat mit der Resolution A/HRC/RES/36/31 die Group of Eminent Experts on Yemen. Diese untersucht seitdem unabhängig die Situation der Menschenrechte im Jemen und unterhält Beziehungen zu jemenitischen Behörden, Interessenverbänden, die mit der Situation im Jemen vertraut sind, und den Regierungen der angrenzenden Golfstaaten. Soweit es der Group of Eminent Experts on Yemen möglich ist, versucht sie Akteur*innen, die Menschenrechtsverletzungen verüben, zu identifizieren. Außerdem gibt sie Empfehlungen heraus, die die Einhaltung der Menschenrechte im Jemen fördern sollen. Jährlich erstellt die Group of Eminent Experts on Yemen aus den gewonnen Daten einen Bericht. Mit den Resolutionen A/HRC/RES/39/16 (2018) und A/HRC/RES/42/2 (2019) wurde die Arbeit der Gruppe verlängert.

Im Jahr 2011 ernannte der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-moon einen Sonderbeauftragten für den Jemen. Dieser sollte beim Errichten einer stabilen Demokratie helfen, nachdem Saleh die Macht an Hadi übergeben hatte. Seit Februar 2018 hält Martin Griffiths den Posten des Sondergesandten für den Jemen. Der britische Diplomat verhandelt mit den Konfliktparteien und hält den Sicherheitsrat über die Lage im Jemen auf dem Laufenden. 

Im Oktober 2018 unterzeichnete Jemen als einer von 96 Staaten die Safe Schools Declaration und verpflichtet sich damit, Bildungseinrichtungen, Lehrpersonal, sowie Schüler*innen und Studierende auch in bewaffneten Konflikten besonders zu schützen und Schulbildung zu gewährleisten. Ebenfalls im Oktober 2018 forderte das Europäische Parlament die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, Waffenverkäufe an Saudi-Arabien auszusetzen.

Mit der Hilfe Griffiths’ wurde im Dezember 2018 das Stockholm-Abkommen zwischen den Huthis und der Hadi-Regierung ausgehandelt. Hierbei handelt es sich um eine erste Annäherung der beiden Parteien. Sie einigten sich auf einen Gefangenenaustausch, den Abzug der Truppen aus den Häfen Ras Isa, Saleef und Hodeidah und eine Waffenruhe in der Stadt Hodeidah. 

Der Gefangenenaustausch kommt jedoch nur langsam ins Rollen, und bisher wurde lediglich der Hafen Hodeidah von den Huthis freigegeben. Da dieser der wichtigste Hafen des Landes ist, haben Hilfslieferungen seitdem größere Chancen dort anzukommen, wo sie gebraucht werden. Im Juli 2019 haben UN-Inspektor*innen im Rahmen der UNMHA (UN Mission to support the Hodeidah Agreement) die Kontrolle der Schiffe im Hafen übernommen. Das Mandat wurde mit der Resolution S/RES/2452 (2019) des Sicherheitsrates begründet und mit der Resolution S/RES/2481 (2019) bis zum 15. Januar 2020 verlängert.

In der Resolution A/HRC/RES/42/31 (2019) fordert der Menschenrechtsrat alle am Jemenkrieg beteiligten Parteien dazu auf, keine Kindersoldat*innen mehr einzusetzen und die betroffenen Kinder freizulassen. Außerdem soll weiterhin Kapazitätenförderung betrieben und Hilfeleistungen zur Verfügung gestellt werden.

Im Juni 2020 wurde von den Vereinten Nationen mit Saudi-Arabien eine Geberkonferenz organisiert. Dabei sagten 30 Staaten 1,35 Milliarden Dollar an Spenden  zu. Bis zum Jahresende wird aber das Doppelte an Geldern benötigt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres erklärte dazu: "Wir hatten noch nie so wenig Geld für Hilfseinsätze im Jemen zu diesem Zeitpunkt im Jahr". Bei einer ähnlichen Geberkonferenz in Genf im Jahr 2019 waren 2,6 Milliarden Dollar zusammengekommen. Ein Grund wieso die Länder zu weniger Spenden bereit waren, sind die Auswirkungen des Coronavirus, die auf der ganzen Welt zu spüren sind. 

Mark Lowcock, Leiter des Amtes der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten berichte bei einer Sitzung des Sicherheitsrates am 15. September 2020 besorgt über die drohende Hungerkatastrophe im Jemen. Laut Lowcock wurde 2018 eine Hungerkatastrophe abgewendet, weil Finanzhilfen aufgestockt wurden. 2020 sind aber nur etwa ein Drittel der benötigten Gelder gezahlt worden. Einige Geberländer, darunter Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait, welchen durch ihre Beteiligung am Jemen-Krieg eine besondere Verantwortung zukommt, haben zum Stand September 2020 noch gar keine Hilfen ausgezahlt. Mit mehr als 9 Millionen Menschen, die davon betroffen sind, bedeutet das Ausbleiben der Hilfeleistungen das Todesurteil für viele Kinder und Jugendliche.

Probleme und Lösungsansätze 

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erlebt der Jemen jetzt eine Notfallsituation in einer Notfallsituation. Während die ganze Welt mit dem Ausbruch und der Bekämpfung des Coronavirus beschäftigt ist, kommt den Kindern und Jugendlichen im Jemen deutlich weniger Aufmerksamkeit zu. Trotzdem werden sie während des fortlaufenden Bürgerkriegs weiterhin Opfer von Gewalt, während Schließungen von Schulen und Krankenhäusern den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung verhindern. 

Die Lager ist daher äußerst besorgniserregend: Der Jemen befindet sich in der weltweit größten humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Während dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind im Jemen nur die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen funktionsfähig und  das Gesundheitssystem steht kurz vor dem Zusammenbruch. UNICEF warnt davor, dass die Zahl der mangelernährten Kinder im Jemen ohne weitere Hilfsgelder bis Ende des Jahres 2020 auf 2,4 Millionen ansteigt. Zudem können im Jemen momentan mindestens 2 Millionen Kinder wegen coronabedingten Schulschließungen nicht in die Schule. Bereits vor der Corona-Pandemie war das Schulleben der jemenitischen Kinder aufgrund der vielen Angriffe auf Schulen stark gefährdet. Außerdem ist sauberes Wasser sehr knapp, rund 9,58 Millionen Kinder haben keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Anlagen oder Hygiene - Grundvoraussetzungen, um eine COVID-19-Ansteckung zu verhindern. 

Daher ist es außerordentlich wichtig für Kinder, den Zugang zu Trinkwasser, Lebensmitteln, medizinischer Versorgung und Bildung zu sichern. Da Hilfsorganisationen zunehmend an ihre Grenzen stoßen, ist es elementar, dass die internationale Staatengemeinschaft verstärkt Hilfe leistet. Dabei stellt sich auch die Frage ob Staaten, die direkt oder indirekt am Krieg beteiligt sind, in einer besonderen Verantwortung stehen. 

Allerdings gestaltet es sich schwierig, die Bevölkerung mit Hilfsgütern zu versorgen, da die Konfliktparteien diese oft einbehalten und die Lieferung zu den Orten, wo sie dringend benötigt würden, behindern. Dies führt dazu, dass Hilfsorganisationen ihre Lieferungen einstellen, wie es z.B. das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) tun musste. Davon sind circa 850.000 Menschen in der Region um die Hauptstadt Sanaa betroffen. Zudem dürfen Angestellte von Hilfsorganisationen nur eingeschränkt im Land reisen und sind ständig in Gefahr, entführt oder getötet zu werden. Dies erschwert die humanitäre Hilfe drastisch. Erleichtert wird die Verteilung von Hilfsgütern durch das Einrichten der Waffenruhe um den Hafen von Hodeidah, der mittlerweile auch von Mitarbeitenden der Vereinten Nationen betrieben wird.

UNICEF ist weiterhin vor Ort und behandelt Kinder, die von Mangelernährung betroffen sind, bringt Trinkwasser ins Land und versucht, mit Impfungen den drohenden Epidemien entgegenzuwirken. Auch Ärzte ohne Grenzen wirkt bei der medizinischen Versorgung im Jemen mit. Außerdem unterstützt UNICEF die ärmsten Familien finanziell und klärt die Menschen über die Gefahren von Landminen und Blindgängern auf. Gerade diese werden noch lange Zeit, auch nach Ende des Krieges, eine Gefahr insbesondere für Kinder darstellen. Außerdem baut UNICEF Schulen wieder auf und zahlt das Gehalt von Lehrpersonal, da der Staat Jemen dazu schon lange nicht mehr in der Lage ist. Für die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen im Jemen muss aber vor allem sichergestellt werden, dass Schulen Orte bleiben, an denen ohne Angst um das eigene Leben gelernt werden kann. Bedeutend für die Entwicklung im Jemen ist, dass nicht nur die Grundbedürfnisse der Kinder gedeckt werden, sondern auch bereits während des Konflikts in die Zukunft des Landes investiert wird, wie es z.B. mit Bildungsprogrammen der Fall ist. Der Sicherheitsrat sollte daher Maßnahmen ergreifen, um die Konfliktparteien von Angriffen auf Schulen, die bereits einen Völkerrechtsbruch darstellen, abzuschrecken

 Punkte zur Diskussion 

  • Welche humanitären Soforthilfe-Maßnahmen können zur Verbesserung der Lage von Kindern und Jugendlichen im Jemen getroffen werden?
  • Wie kann die Situation der Kinder und Jugendlichen im Jemen nachhaltig verbessert werden? 
  • Wie kann der Zugang zu sauberem Wasser, sanitären Anlagen oder Hygiene gewährleistet werden? 
  • Wie kann das jemenitische Gesundheitssystem unterstützt werden? 
  • Wie kann sichergestellt werden, dass Kinder und Jugendliche im Jemen an Schulbildung kommen? 

Wichtige Dokumente

Quellen und weiterführende Links

Bei Fragen zum Text können Sie sich an Nora Thomas unter [email protected] wenden.

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