forum Rechte indigener Bevölkerungsgruppen im Kontext nachhaltiger Entwicklung

Einführung in das Thema

Fragen zu diesem Thema können Sie an Julia Ackermann ([email protected]) richten.

Hier gibt es das Handbuch zum Gremium

Einführung

Weltweit identifizieren sich über 370 Millionen Menschen als Indigene. Sie gehören mehr als 5000 verschiedenen Völkern an und leben in 70 verschiedenen Ländern. Als indigene Völker werden die Nachfahren derer bezeichnet, die ein Land oder eine Region bewohnten, bevor Menschen einer anderen Kultur oder einer anderen ethnischen Herkunft dort ankamen. Das angestammte Land ist demnach von großer Bedeutung für die Völker, ihre Identität und ihre Kultur. Indigene Völker zeichnen sich durch Glauben, Sprache und Kultur aus, die sich stark vom Rest der Bevölkerung unterscheiden, sowie durch eigene soziale, wirtschaftliche und politische Systeme. Aufgrund dessen sind sie häufig Diskriminierung und Marginalisierung, auch seitens von Staaten und deren Rechtssystemen, ausgesetzt, was maßgeblich zur Gefährdung der Indigenen und ihrer Lebensräume beiträgt. Aber nicht nur systematisch, auch auf individueller Ebene begegnen sie Ausgrenzung bis hin zu Gewalttaten und Mord. Diese Art von systematischer, sowie individueller Diskriminierung ist der Grund dafür, dass indigene Bevölkerungen rund 15 Prozent der extrem Armen weltweit darstellen, also Menschen, die täglich von weniger als $1,90 leben, oft an Hunger oder Mangelernährung leiden und deren Zugang zu Bildung und Entscheidungsprozessen stark eingeschränkt ist.

Geschichte

Die gegenwärtige Situation der indigenen Völker resultiert aus der “Entdeckung” und Kolonialisierung der Welt durch europäische Staaten in sechs Jahrhunderten, von circa 1450 bis 1950. Ende des 15. Jahrhunderts versuchten vor allem Spanien und Portugal, einen Seeweg von Europa nach Südostasien zu finden, um einen direkten Handel mit Gewürzen zu ermöglichen. Christopher Columbus sollte im Auftrag des spanischen Königspaares einen westlichen Seeweg nach Indien und China finden. Stattdessen entdeckte er auf mehreren Entdeckungsreisen das heutige Südamerika. Da er dies jedoch nicht realisierte, nannte er die indigene Bevölkerung welche er in der “Neuen Welt” vorfand Indios, zu Deutsch Indianer*innen.
Zur Eroberung und Unterwerfung der indigenen Bevölkerung kam es allerdings erst durch die Spanier Hernan Cortes, 1519 bis 1521 (Azteken) und Francisco Pizarro, 1532, (Inka). Zur Rechtfertigung der territorialen Expansion auf Kosten der indigenen Bevölkerungen, sowie der brutalen Anwendung von Gewalt gegen diese propagierten die Europäer*innen die Lehre eines “gerechten Krieges” gegen Nicht-Christ*innen. Zunächst lebte die spanische Bevölkerung in der “Neuen Welt” ausschließlich von der Ausbeutung der Indigenen, später auch von Viehzucht und Bergbau. Die Einheimischen mussten unter sklavenähnlichen Verhältnissen beispielsweise in Gold-, Silber-, und Quecksilberminen arbeiten. In den Augen der spanischen Bevölkerung war dies kein Verbrechen, da ihrer Meinung nach die indigene Bevölkerung Tieren ähnlicher war als Menschen und damit geboren für die Sklaverei. Auch Religion und Kultur wurde ihnen abgesprochen. Ihnen wurde zugeschrieben, Kannibalismus zu betreiben, Götzen anzubeten, Menschen zu opfern und in völliger Anarchie zu leben – die katholische Kirche sah sich also in der Pflicht und vollständig im Recht, die “Wilden” zu zivilisieren und missionieren.
Noch weniger Menschenwürde besaßen aus Sicht der Europäer*innen nur die indigenen Völker Afrikas. Ab Anfang des 16. Jahrhunderts wurden sie systematisch als Sklav*innen nach Amerika transportiert. Die Afrikaner*innen wurden nicht als Menschen, sondern als reine Arbeitskräfte angesehen und wie Ware behandelt.
Diese Form der Diskreditierung von indigenen Bevölkerungen und das Überlegenheitsgefühl der Europäer*innen zeichnet sich bis heute im Umgang mit Menschen indigener Herkunft ab.

Das Ringen der indigenen Völker um internationale Anerkennung

In den 1920ern begannen erste indigene Oberhäupter, Rechte für ihre Völker einzufordern. Diese Versuche blieben zwar erfolglos, inspirierten aber folgende Generationen. 1982 wurde schließlich die “Arbeitsgruppe Indigene Bevölkerungen” (WGIP) gegründet, ein untergeordnetes Organ der Subkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte, welche den Indigenen eine Möglichkeit gab, ihre Erfahrungen und Bedenken vor den UN zu formulieren. Als Untergremium einer Subkommission hatte die Arbeitsgruppe allerdings keinen großen Einflussbereich innerhalb der UN und wurde daher 2007 durch den Expertenmechanismus für die Rechte indigener Völker abgelöst, welcher als Untergremium des Menschenrechtsrats diesem bis heute Fachkenntnis und Empfehlungen über die Rechte indigener Völker bereitstellt.
Das bis heute einzig völkerrechtlich bindende Abkommen über die Rechte indigener Völker ist das “Übereinkommen über Eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern”, 1989 (Nr. 169), verabschiedet von der ILO (International Labour Organization), welches allerdings nur von 23 Staaten unterzeichnet ist, unter ihnen weder die USA noch Kanada oder Neuseeland. Ebenso fehlen, mit Ausnahme der Zentralafrikanischen Republik, sämtliche afrikanische Staaten, und, mit Ausnahme von Nepal, jegliche asiatische Staaten, wobei über 70% der weltweiten indigenen Bevölkerung in Asien lebt.
Folgend auf das Internationale Jahr der Indigenen Völker 1993, welches darauf abzielte, die Beziehungen zwischen Staaten und indigenen Völkern, sowie zwischen der internationalen Gemeinschaft und den indigenen Völkern zu verbessern, begann 1994 die erste Internationale UN-Dekade Indigener Völker (A/RES/48/163), um das Engagement der Vereinten Nationen zu steigern und die Rechte indigener Völker zu fördern und zu schützen. Im Rahmen der Dekade wurde im Juli 2000 das “Ständige Forum für indigene Angelegenheiten” gegründet, welches als beratendes Gremium den Wirtschafts- und Sozialrat unterstützt, sowie eigenständig das Bewusstsein über indigene Angelegenheiten, deren Integration und Koordination im System der UN fördert. Ein weiterer Erfolg der Dekade stellt außerdem die Einrichtung des Postens eines*r Sonderberichterstatter*in zu Rechten indigener Völker. Dessen Mandat beinhaltet die Förderung positiver Praktiken, wie beispielsweise neuer Gesetze, und das Umsetzen internationaler Standards hinsichtlich der Rechte der indigenen Völker. Außerdem berichtet er*sie regelmäßig über die allgemeine Menschenrechtslage der Indigenen in verschiedenen Staaten und behandelt mutmaßliche Verletzungen der Rechte indigener Völker durch Kommunikation mit Regierungen und anderen Akteur*innen.
Eine zweite Dekade wurde 2005 in der Resolution 59/174 von der Generalversammlung ausgerufen. Das Hauptziel dieser Dekade war die Förderung der internationalen Kooperation, um Lösungen für die Probleme indigener Völker zu finden, zum Beispiel in den Bereichen Kultur, Bildung, Gesundheit, Umwelt und Menschenrechte.
Die größte Errungenschaft der zweiten Dekade, war das Verabschieden der “UN-Deklaration über die Rechte indigener Völker” am 13. September 2007. Diese Deklaration, das Ergebnis von 20 Jahren Arbeit, ist die wohl umfangreichste Darstellung der Rechte indigener Völker, die jemals entwickelt wurde. Umstritten war lange die Frage, ob in Bezug auf indigene Gemeinschaften von “people” (Bevölkerungen) oder “peoples” (Völker) gesprochen werden sollte. Der Begriff Bevölkerung beschreibt eine dem Staat zugehörige Minderheit, während einem Volk völkerrechtlich das Recht auf Selbstbestimmung zugesichert ist und es damit selbst über Status, Staats- und Regierungsform, sowie über kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung verfügen kann. Im Extremfall hätte ein Volk auch das Recht einen eigenen Staat zu gründen, weshalb viele Staaten dem Begriff kritisch gegenüberstanden. Letztendlich wurde sich trotz allem auf die Bezeichnung “Indigene Völker” geeinigt.
Um auszuarbeiten, wie die in der Deklaration beschriebenen Rechte am besten umgesetzt werden können, fand am 22-23 September 2014 erstmals ein Weltgipfel zu Indigenen Völkern statt.
Im September 2015 wurden außerdem die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Sechs dieser Ziele zielen in ihren Unterpunkten explizit auf die Verbesserung der Lebensstandards indigener Bevölkerungen ab, viele weitere unterstützen deren Anliegen indirekt.

Probleme und Lösungsansätze

Trotz unermüdlicher Kämpfe für ihre Rechte und trotz Fortschritten in der Repräsentation indigener Völker gehören sie noch immer zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen der Welt, werden hemmungslos diskriminiert, marginalisiert, ihrer Ländereien beraubt und ausgenutzt. Die Lebenserwartung Indigener weltweit liegt bis zu 20 Jahren unter der Nicht-Indigener. Wenn sie auch heute nicht mehr offen als Tiere angesehen oder versklavt werden dürfen, so werden sie doch oft als Bürger*innen zweiter Klasse behandelt. Das äußert sich beispielsweise in mangelndem Rechts- oder Polizeischutz, auch wenn dieser dringend nötig wäre. Obwohl den indigenen Völkern das Recht auf das Eigentum ihres angestammten Landes durch internationales Recht zugesichert ist, kommt es immer wieder zu Vertreibung und Missbrauch. Trotz offensichtlicher Verstöße gegen nationales und internationales Recht auf Kosten der Indigenen wird oftmals keine Strafverfolgung eingeleitet und die Völker sind Landrauben durch Großkonzerne, illegalen Holzfällarbeiten oder Goldgräber*innen schutzlos ausgeliefert. Der Verlust des angestammten Landes bedeutet allerdings nicht nur den Verlust der Lebensgrundlage, des Jagen und Sammelns, sondern auch der Identität eines Volkes, da ihre spirituellen Rituale oft an Grund und Natur gebunden sind.
Ein weiteres Beispiel stellt die Schulbildung indigener Kinder dar. NGOs, wie beispielsweise Survival, kritisieren, dass sie oft bewusst dazu genutzt wird, um Kinder von ihren Familien, Traditionen und Sprachen zu trennen und um dem Staat die Kontrolle indigener Völker und deren Land zu erleichtern. Kindern werde oft beigebracht, dass ihre Kultur “primitiv” sei und sie werden angehalten, sich in ihrem Aussehen und Verhalten anzupassen. Außerdem unterrichten Schulen oft ausschließlich in nationalen und regionalen Sprachen und indigene Kinder, die diese nicht sprechen, werden benachteiligt und besitzen kaum Chancen auf eine akademische Ausbildung. Bildung müsse dazu genutzt werden, Kinder und ihre Gemeinschaften zu stärken und ihnen mehr Handlungsmacht zu geben, indem zum Beispiel gelehrt werde, wie sie ihre Rechte schützen und ihr Land nähren, fordern NGOs. Eine ideale Bildungseinrichtung müsse alle Generationen mit einbeziehen, primär in der Muttersprache der Kinder unterrichten und an den Kalender der Indigenen angepasst sein, um die Teilnahme an Zeremonien oder der Ernte neben der Schule zu ermöglichen.
Besonders benachteiligt sind indigene Frauen. In Fällen von Vertreibung und Zwangsumsiedlung in Städte ist es für sie wesentlich schwieriger, Fuß zu fassen, als für Männer, da sie in ihren Gemeinschaften oft vorrangig mit der Kindererziehung, sowie haushaltlichen Tätigkeiten betraut sind, daher ein geringeres Bildungsniveau besitzen und häufig nur in ihrer Muttersprache kommunizieren können. Weiterhin verzichten werdende Mütter oft darauf, ins Krankenhaus zu gehen oder sich von einem Arzt untersuchen zu lassen, da sie auch dort Diskriminierung und schlechter Behandlung ausgesetzt sind. Die Rate der Frauen, die während der Geburt sterben, ist dadurch deutlich höher als unter nicht-indigenen Frauen.
Indigene Völker gehören überdies auch zu den Bevölkerungsgruppen, die am meisten von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. 80% der indigenen Völker weltweit leben in Asien und dem Pazifik, einer Region, in der sich der Klimawandel besonders drastisch auswirkt. Außerdem sind sowohl die indigene Wirtschaft als auch sämtliche gesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten auf die natürlichen Rohstoffe in ihrem angestammten Land angewiesen. Diese jedoch sind durch Klimaschwankungen und Temperaturextreme höchst gefährdet. Ebenso gefährdet ist die Lebensgrundlage indigener Völker häufig auch, da sie in geographischen Regionen und Ökosystemen leben, die den Folgen des Klimawandels direkt ausgesetzt sind: Polarregionen, Regenwälder, Berge, kleine Inseln, Küstenregionen, Trocken- und Halbtrockengebiete. Oft müssen indigene Völker daher migrieren, um überleben zu können, was ihre Situation in vielen Fällen noch prekärer macht, da sie durch den Verlust ihres angestammten Landes wehrlos gegen Diskriminierung, Ausbeutung und Umweltrisiken sind.
Zum einen stellt diese Abhängigkeit eine große Anfälligkeit gegenüber den Auswirkungen des Klimawandels dar, andererseits bedeutet es aber auch, dass 370 Millionen Menschen (zum Vergleich: die USA hat ungefähr 329 Millionen Einwohner*innen) von einer vollständig ökologischen Wirtschaft leben. Indigene Völker verfügen über Wissen, welches über Generationen hinweg weitergegeben wurde und welches es ihnen ermöglicht, nicht von der Natur, sondern mit dieser zu leben, und sie dennoch wirtschaftlich zu nutzen. Mit diesem Wissen könnte ein modernes wirtschaftliches System geschaffen werden, das hauptsächlich auf Prinzipien der Nachhaltigkeit beruht.
Nur fünf Prozent der Weltbevölkerung gehören indigenen Völkern an. Diese fünf Prozent pflegen und schützen allerdings über 22% der Erdoberfläche und 80% der Biodiversität des Planeten. In von Indigenen bewohnten Gebieten gedeiht Flora und Fauna, sie leben im Einklang mit der Natur. Die illegale Vertreibung der Indigenen aus ihren angestammten Ländern, um die dort vorhandenen Ressourcen auszubeuten, stellt also nicht nur eine Gefahr für die ansässigen Völker, sondern auch für das Weltklima dar. Die Brandrodungen, welche in großem Stil in Südamerika, Australien und Afrika stattfinden, setzen Milliarden Tonnen CO2 frei, nehmen Menschen ihre Lebensgrundlage und Identität und zerstören die Biodiversität.

Punkte zur Diskussion

  • Wie kann die Staatengemeinschaft sicherstellen, dass die Rechte indigener Völker, wie sie in der ILO Konvention von 1989 und in der UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker festgeschrieben sind, auch durchgesetzt werden?
  • Wie kann die Staatengemeinschaft indigene Völker in ihrem Kampf für Selbstbestimmung bestärken?
  • Wie kann der Lebensraum indigener Völker und damit ihre Identität, Kultur und Wirtschaft besser geschützt werden?
  • Wie kann Klimagerechtigkeit für indigene Völker erreicht werden, sodass diese fair an den Verhandlungsprozessen beteiligt werden und über die notwendige Fähigkeiten verfügen, sich an den Klimawandel anzupassen? Welche Rolle kann das Wissen und die Traditionen der indigenen Bevölkerung dabei spielen?
  • Wie kann das vierte SDG “Quality Education” und somit das Recht auf BIldung umgesetzt und die adäquate Bildung indigener Kinder gewährleistet werden?
  • Wie kann die Diskriminierung indigener Völker, insbesondere von Frauen, durch Staaten und öffentliche Institutionen unterbunden werden?

Besonders hilfreiche Quellen

Wichtige Dokumente

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