forum Verbesserte Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren in der humanitären Hilfe

Einführung in das Thema

Einleitung

Die Erbringung koordinierter internationaler humanitärer Hilfe hat eine Geschichte, die bis zum Ende des zweiten Weltkrieges zurückreicht. Damals leistete die internationale Staatengemeinschaft in Form der neu gegründeten Vereinten Nationen, erstmals gemeinsame und staatlich unterstützte humanitäre Hilfe im durch den Krieg völlig zerstörten Europa. Die Grundlage für diese humanitäre Hilfe schuf die UN-Charta, in der es heißt eines der Ziele der UN sei, „eine internationale Zusammenarbeit herbeizuführen, um internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art zu lösen und die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen.“ 

Heute wie auch damals kann humanitäre Hilfe nur dann den Betroffenen effektiv helfen, wenn das Zusammenspiel zwischen internationalen humanitären Organisationen und lokalen Partnern so reibungslos wie möglich verläuft. Nur, wenn diese Zusammenarbeit gut funktioniert, kann eine humanitäre Hilfsmission erfolgreich verlaufen und den Betroffenen adäquat geholfen werden. Das hat einige Gründe: Unter anderem ist nur so eine bedarfsgerechte Verteilung vor Ort möglich, lokale Akteure kennen vor Ort auftretende Probleme, wie beispielsweise die aktuelle Konfliktsituation am besten. Doch leider treten in der Praxis bei genau dieser Zusammenarbeit häufig Probleme auf, die die Effektivität der erbrachten Hilfe teilweise stark einschränken. Dazu gehören die benötigte mediale Aufmerksamkeit vieler humanitärer NGOs, da diese sich durch Spenden finanzieren; die Verletzung humanitärer Prinzipien oder die Geringschätzung lokaler Partner durch internationale Akteure. 

Hintergrund und Grundsätzliches

Humanitäre Hilfe

Da humanitäre Hilfe häufig in einer instabilen politischen Umgebung mit einer schwierigen Sicherheitslage und oftmals unter großem Zeitdruck durchgeführt werden muss, gibt es einige humanitäre Grundsätze, die für alle Hilfeleistenden allgemeingültig sind, um einen gewissen Standard zu gewährleisten. Diese Grundsätze stützen sich auf die von der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung basierend auf dem humanitären Völkerrecht entwickelten Prinzipien der "Humanität", "Neutralität" und "Unparteilichkeit". Diese Prinzipien wurden 1991 durch die Resolution 46/182 der UN-Generalversammlung als Basis für die weltweite humanitäre Hilfe festgelegt. Sie wurden durch das Prinzip der "Unabhängigkeit" in der Resolution 58/114 von 2003 erweitert. Dabei besagt das Humanitätsprinzip, dass menschliches Leid gelindert wird, wo immer dies möglich ist, wobei den vulnerabelsten Gruppen besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist. Das Prinzip der Neutralität verlangt, dass die hilfeleistenden Organisationen keine bestimmte Seite präferieren oder Partei ergreifen dürfen. Für die Sicherheit der Hilfeleistenden ist es maßgeblich, dass die Hilfsorganisationen eine neutrale Position verfolgen. Das Prinzip der Unparteilichkeit bedeutet, dass die Hilfe ausschließlich auf dem Bedarf der Notleidenden basiert. Sie darf nicht zwischen Bevölkerungsgruppen oder aufgrund von Alter, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit diskriminieren.Das Unabhängigkeitsprinzip zieht eine Trennlinie zwischen humanitären Zielen auf der einen Seite und politischen, militärischen, wirtschaftlichen oder anderen Zielen auf der anderen Seite. Der einzig legitime Zweck der humanitären Hilfe besteht in der Rettung von Leben und der Verringerung des Leidens.

Humanitäre Hilfe soll so geleistet werden, dass sie zuerst die dringlichsten Bedürfnisse stillt und dem „Do-No-Harm“-Prinzip folgt, d.h. keine schädlichen Nebenwirkungen, z.B. auf den Konflikt oder die Umwelt haben. Außerdem soll die Gleichstellung der Geschlechter sowie variierende Bedürfnisse und Fähigkeiten aufgrund von Geschlecht, Alter oder Behinderungen berücksichtigt werden. Das entscheidende Kriterium für die Hilfslieferung ist die humanitäre Notwendigkeit. Die Hilfe wird auf subsidiärer Basis geleistet. Das bedeutet, dass die Regierung und die Behörden des betreffenden Landes stets die Hauptverantwortung für den Schutz und die Versorgung der Bevölkerung tragen. Internationale humanitäre Hilfe wird nur dann geleistet, wenn die Regierung des betroffenen Staates oder andere Akteure dies nicht in ausreichendem Umfang tun können oder wollen. Dabei kommt es oftmals zu Konflikten zwischen humanitären Organisationen und Konfliktparteien. Konfliktparteien greifen dabei häufig gewaltsam in die Arbeit der humanitären Organisationen ein, die Notleidenden lebensnotwendige Ressourcen zur Verfügung stellen. Die Arbeit der humanitären Organisationen beruht dabei häufig auf ethisch- moralischen und/oder religiösen Grundsätzen. Daher lehnen diese eine politische Instrumentalisierung ihrer Arbeit meist strikt ab, während Konfliktparteien das immer wieder versuchen und damit Spannungen zwischen humanitären Organisationen und lokalen Betroffenen kreieren. Neben politischer Instrumentalisierung kommt es zudem auch immer wieder vor, dass humanitäre Organisationen ihrer Hilfsressourcen beraubt oder ihnen der Zugang zu Notleidenden nur gestattet wird, wenn sie einer Konfliktpartei dabei einen Teil ihrer Hilfsgüter und Ressourcen überlassen.

Das humanitäre Dilemma

Diese Situation wird auch ein “humanitäres Dilemma” genannt, da sich die Organisationen entscheiden muss, ob sie Notleidenden humanitäre Hilfe verwehrt oder einer Konfliktpartei exklusiven Zugang zu einem Teil ihrer Ressourcen gewährt. Zu diesem Dilemma kommt es häufig in Regionen, in denen Hilfsmissionen nicht militärisch gesichert (bspw. durch eine zivil-militärische UN-Mission) und den Konfliktparteien somit schutz- und wehrlos ausgeliefert sind. 

Lokale Akteure

Lokale Akteure sind alle, die vor Ort an der Erbringung humanitärer Hilfe beteiligt sind; das können sowohl lokale Hilfsorganisationen, als auch Verwaltungen, Behörden oder sogar bewaffnete Konfliktparteien sein. Ihnen wird eine sehr wichtige Rolle zuteil,  denn nur wenn lokale Akteure an der Erbringung humanitärer Hilfe mitwirken (können) und die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen reibungslos funktioniert, können die eingesetzten Mittel zur Unterstützung Notleidender eben diesen auch zur Verfügung gestellt werden. Diese Zusammenarbeit funktioniert leider nicht immer ausreichend, wodurch sich eine Reihe konkreter Probleme ergeben (siehe Abschnitt Probleme und Lösungen). 

Aktuelles

Hauptakteure der humanitären Hilfe

Seitens der UN wird die humanitäre Hilfe vom United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (UNOCHA) koordiniert. Diese Institution wurde 1991 von der UN ins Leben gerufen, um die Bereitstellung und Koordinierung humanitärer Hilfe zentral zu bündeln und eine effektive Bereitstellung zu ermöglichen. Das UNOCHA besitzt allerdings nur sehr begrenzte Handlungsbefugnisse und Finanzmittel und kann daher die ihm vom UN-Generalsekretariat übertragenen umfangreichen Koordinierungsaufgaben nur sehr begrenzt erfüllen. Finanziert wird das UNOCHA von Geberländern auf freiwilliger Basis, daher fließt das Geld nicht immer in die am stärksten notleidenden Regionen, sondern teilweise in geopolitisch bedeutsamere. Neben dem UNOCHA leisten die UN-Hilfsorganisationen humanitäre Hilfe. Zu ihnen gehören das Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und das Welternährungsprogramm (WFP). Andere Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, aber nicht zur UN gehören, sind die internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung sowie Nichtregierungsorganisationen. Humanitäre Hilfe basiert in der Praxis primär auf Selbstverpflichtungen und selbst gesetzten Standards der Akteure und weniger auf festen bzw. bindenden Resolutionen und Verpflichtungen. Der humanitären Weltgipfel 2016 ist das jüngste Beispiel dafür. Auf dem Gipfel wurden eine Vielzahl von Abkommen und Verpflichtungen verabschiedet, die die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren in der humanitären Hilfe stärken sollen. Die Schlüsselstrategie hierbei soll die verstärkte Lokalisierung der Hilfe sein. Das heißt, es sollen möglichst viele Kompetenzen, Handlungsvollmachten und finanzielle Mittel lokal gebündelt und direkt vor Ort angewendet werden. 

Die wichtigsten Selbstverpflichtungen auf diesem Gipfel waren das „Grand Bargain“ und die „Charter for Change“. Die Selbstverpflichtung des „Grand Bargain“ zielt dabei eher darauf ab generelle Strukturen in der humanitären Hilfe zu vereinfachen und die oftmals vorhandenen Finanzierungslücken zu schließen. Das “Bargain” wurde von 25 UN- Mitgliedsstaaten, 11 UN- Organisationen sowie vielen weiteren NGOs und Rotkreuzbewegungen unterzeichnet. Insgesamt bilden die Unterstützer dieser Selbstverpflichtung 84% aller Spender für humanitäre Projekte und 69% aller Hilfe-erhaltenden Organisationen ab. Konkret möchte diese Selbstverpflichtung für größere Transparenz sorgen, die Finanzierung lokaler Akteure fördern, Doppelstrukturen abbauen, die Partizipation der lokalen Bevölkerung verbessern und die Qualität der Finanzierung der humanitären Hilfsaktionaktion an sich stärken. Dagegen hat die Selbstverpflichtung „Charter for Change“ speziell die Lokalisierung und Verbesserung der Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen zum Ziel und wird daher auch mehrheitlich von NGOs, sowohl internationalen als auch lokalen, unterstützt.  

Probleme und Lösungen

Dennoch kommt es speziell in politisch instabilen und von Gewalt betroffenen Krisenregionen immer wieder vor, dass humanitäre Organisationen in der Ausübung von humanitärer Hilfe durch Konfliktparteien behindert werden. Ein Beispiel dafür ist der immer noch andauernde Bürgerkrieg in Syrien, in dem es humanitären Organisationen verwehrt wird Notleidende zu erreichen und diese zu versorgen. Zudem gibt sich das humanitäre Personal selbst in Gefahr, da Orte der humanitären und ärztlichen Versorgung immer wieder Ziel von militärischen Angriffen werden. Um eine höhere Effektivität humanitärer Hilfe zu ermöglichen muss die internationale Gemeinschaft  den Zugang zu Notleidenden, unabhängig von der durch die regionale Konfliktsituation entstandene Gefährdung, für das humanitäre Personal ermöglichen. Desweiteren gibt es eine Reihe von Problemen und Herausforderungen auf Seiten der NGOs, die es zu bewältigen gilt. Aufgrund der finanziellen Strukturen von NGOs sind sie stets auf Spendengelder angewiesen, um weiter adäquate humanitäre Hilfe bereitzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es für die NGOs daher unabdingbar medienwirksame Bilder zu kreieren und sich von vor Ort anwesenden Journalisten eine hohe Effizienz der eingesetzten finanziellen Mittel bescheinigen zu lassen. Dieser Eindruck von Effizienz wird dann oftmals dadurch erreicht, dass die Kooperation mit den lokalen Partnern mangelhaft ist, Helfende nicht ausreichend ausgebildet werden oder die Hilfe nicht bedarfsgerecht angeboten wird. Hier muss die Finanzierung der NGOs  unabhängiger von diesen Problemen werden, um eine adäquate humanitäre Versorgung der Notleidenden zu gewährleisten. 

Dabei beachtet nicht jede humanitäre Organisation sämtliche humanitäre Grundlagen und Handlungsprinzipien. Speziell das Gebot der Neutralität wird häufig verletzt, da manche humanitäre Organisationen aufgrund von ethisch-moralischen, religiösen oder ideologischen und politischen Gründen bewusst Hilfe in Gebieten bereit stellen, in denen die herrschende Konfliktpartei  bestimmte ethische und religiöse Gruppen vom Zugang zu humanitärer Hilfe ausschließen. In diesem Zusammenhang sollte die internationale Staatengemeinschaft und damit einhergehend der Hauptausschuss die humanitären Organisationen ermutigen die humanitären Prinzipien zu wahren. Angemerkt werden muss jedoch, dass es in einigen Fällen vertretbar ist das Neutralitätsprinzip zu verletzen, da bspw. eine Konfliktpartei den Zugang zu einer bestimmten Gruppe Notleidender verweigert und dieser Gruppe nur mit einer Verletzung des Neutralitätsprinzips geholfen werden kann.

Ferner verfolgen einige Organisationen auch eigene Ziele, die sich nicht auf die Bereitstellung von humanitärer Hilfe beschränken. So gibt es religiöse Organisationen, die gleichzeitig die Betroffenen missionieren wollen oder westliche Hilfsorganisationen, die westlich geprägte Werte wie Gleichberechtigung und Demokratie stärken wollen. Auch helfende Drittstaaten verfolgen oftmals eigene Ziele, wie geopolitische Strategien oder um das eigene Image aufzubessern. Diese Verfolgung einer Agenda beeinträchtigt vielfach die Effektivität der bereitgestellten Hilfe, da so neben der Bereitstellung von Hilfe ein Weltbild vermittelt wird, das möglicherweise konträr zu dem der vor Ort lebenden Menschen ist. Damit verringert sich auch die Akzeptanz der humanitären Organisationen bei den lokalen Akteuren, wie Verwaltungen oder medizinischem Personal vor Ort. Diese sind dann nicht mehr bereit uneingeschränkt mit der humanitären Organisation zusammenzuarbeiten, was Doppelstrukturen zur Folge haben kann und die Effektivität der angebotenen Hilfe sinken lässt. Daher wäre es hilfreich, die helfenden Akteure zu motivieren sich auf die Bereitstellung von humanitärer Hilfe zu fokussieren und eigene Ziele zurückstellen.

Überdies sollte sich der Hauptausschuss mit dem Problem befassen, dass einige humanitäre Organisationen lokale und regionale Akteure, wie Administrationen oder Konfliktparteien, nicht ausreichend an der Bereitstellung von humanitärer Hilfe teilhaben lassen. Die Beweggründe für ein solches Verhalten sind beispielsweise der Glaube lokale Akteure besäßen geringere Kompetenzen in Fragen wo oder wie Hilfe bereitgestellt werde muss. Die fehlende Einbindung lokaler Akteure verringert nicht nur die Effektivität der bereitgestellten Hilfe erheblich, sondern verringert auch die Akzeptanz von humanitären Organisationen in der Zivilbevölkerung. Daher sind Maßnahmen unabdingbar, die die Zusammenarbeit zwischen humanitären Organisationen und lokalen Akteuren intensivieren und einerseits lokalen Akteuren die Möglichkeit gibt benötigte Kompetenzen einzubringen, sowie andererseits Organisationen ermutigt die bereitgestellten Kompetenzen anzunehmen und zu verwenden.

Punkte zur Diskussion

Der Hauptausschuss sollte Leitlinien für die Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren erstellen und Maßnahmen zur Verbesserung dieser vorschlagen:

  • Welche Anreize können gesetzt werden, um eine effektivere Zusammenarbeit zwischen humanitären Organisationen und lokalen Administrationen und Beteiligten zu ermöglichen? Wie kann dabei die Anerkennung der vorhandenen Kompetenz der lokalen Akteure gestärkt und der Aufbau weiterer Kompetenzen ermöglicht werden? 
  • Wie kann gewährleistet werden, dass humanitäre Organisationen die humanitären Prinzipien einhalten und mit allen Akteuren vor Ort zusammenarbeiten? Wie kann speziell die Einhaltung des Neutralitätsprinzips angeregt werden? 
  • Wie kann erreicht werden, dass humanitäre Hilfe unabhängig von medialer Aufmerksamkeit und der Konkurrenz um Spendengelder bereitgestellt werden kann, um die Kooperation mit lokalen Akteuren zu stärken? Welche Rolle wird dabei den Medien, welche den humanitären Organisationen und welche der internationalen Gemeinschaft zuteil? 
  • Wie können humanitäre Organisationen davon abgehalten werden humanitäre Hilfe mit dem Hintergrund ideologischer Ziele anzubieten, um die Akzeptanz lokaler Akteure nicht zu verlieren? Welche Maßnahmen können getroffen werden, um die Zusammenarbeit zwischen humanitären Organisationen und lokalen Akteuren nicht von ideologischen Grundsätzen beeinflussen zu lassen?

Wichtige UN-Dokumente

Quellen

 

Bei Fragen zum Text können Sie sich an Sören Daehn unter [email protected] wenden.

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Papiere 26 bis 28 von 28.
Papiere 26 bis 28 von 28.
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